Der Spiegel - SO EIN SCHMARRN

Der Spiegel - SO EIN SCHMARRN

Ein Kalender mit Bauernregeln aus Tirol beschreibt die geheimnisvollen Kräfte des Mondes und wurde zum Kultbuch.

Ihr fehlt dieser dunkle, wissende Blick, der eigentlich eine spirituelle Prophetin auszeichnen sollte. Keine Spur auch von jener Appetitlosigkeit, die leicht aus der allzu innigen Hingabe ans Himmlische folgt. Im Gegenteil: Johanna Paungger, 42, verspeist ein üppiges Abendessen und löffelt danach genußvoll einen Eisbecher. Dabei ist es zwei Tage vor Vollmond und somit kein guter Tag für Schlemmereien, wie man in ihrem Buch nachlesen kann. "Ja, ja", sagt sie, "aber wenn's doch schmeckt."

Daß so viele ihrer Anhänger in den Mondkalender starren und die Regeln ergeben befolgen, Tag für Tag, findet sie idiotisch. Da verginge einem ja alle Freude am Leben, sagt sie. Und die Leute zu dieser Art von Narretei anzustiften, sei nie ihre Absicht gewesen. "Wir wollen nicht missionieren", sagt sie heftig, "und die Leute zu Dogmatikern machen wollen wir schon gar nicht." Aber die Leute machen halt, was sie wollen. Längst gilt Johanna Paungger als "die Mond-Pionierin" schlechthin. Körbeweise Briefe bekommt sie seit dem immensen Erfolg des Ratgebers "Vom richtigen Zeitpunkt - Die Anwendung des Mondkalenders im täglichen Leben", den sie vor nun bald fünf Jahren gemeinsam mit dem Sachbuchautor und jetzigen Ehemann Thomas Poppe, 44, geschrieben hat*. Als großartige Volksaufklärer oder Weltdeuter sehen sich beide nicht. "Wir haben nur das uralte Bauernwissen aus meiner Heimat Tirol aufgeschrieben, mehr nicht", sagt Johanna Paungger achselzuckend.

Die Buch mit den einfachen Bauernregeln wurde inzwischen in acht Sprachen übersetzt und hat bis jetzt eine Gesamtauflage von 1,6 Millionen. Andere Verlage, einigermaßen verblüfft über die Anzahl der kaufwilligen Mondsüchtigen, schoben hektisch gleich Dutzende Mondbücher hinterher. Aber das Werk des Bestsellerduos Paungger/Poppe war das erste dieser Art und gilt schon als Klassiker.

Das mag an Johanna Paungger liegen. Manche, sagt sie, hielten sie für eine exzentrische Spinnerin, die immer nur Körner esse, in Gesundheitssandalen durch die Welt marschiere und unentwegt über den Mond schwatze. "So ein Schmarrn." Paungger, Mutter von zwei Kindern und in froher Erwartung des dritten, kann sich für schöne Kleider, hochhackige Schuhe und saftiges Gulasch begeistern. Sie hat wenig gemein mit ihren esoterisch beseelten Kolleginnen aus Amerika, die sich gern mit mysteriösem Raunen, aufgeräumtem Dauerlächeln oder routinierter Exaltiertheit präsentieren. Johanna Paungger wirkt robust und strapazierfähig, gesund an Magen und Gemüt, heiter und von herzerfrischender Natürlichkeit.

Das Buch ist denn auch so geschrieben, wie sie spricht: unprätentiös, unaufdringlich, einfach. Talkshow-Angebote lehnt sie in der Regel dankend ab, auch Einladungen zu Vorträgen nimmt sie nur noch selten an. "Wir haben ja das Buch geschrieben", sagt sie fast entschuldigend, "damit ich mehr zu Hause bleiben kann." Das Buch lehrt die Leute alles über die geheimnisvollen Kräfte des Mondes. Ob fürs Einkochen oder für's Waschen, ob fürs Haareschneiden oder für den Zahnarztbesuch - für alles gibt es, folgt man Johanna Paungger, den richtigen Zeitpunkt. Steht der Mond im Zeichen des Löwen, soll man zum Frisör gehen, an einem Stiertag empfiehlt es sich, den Zahnarzt zu meiden, Wäsche wäscht sich müheloser bei abnehmendem Mond, kurz nach Vollmond soll man die Kartoffeln setzen, Dünger oder Mist sollte, wenn möglich, bei abnehmendem Mond ausgefahren werden. Genau so nämlich hat Paungger es gelernt: Das Befolgen dieser Regeln ist ihr so selbstverständlich wie Duschen. Sie wuchs in Tirol auf einem großen Hof auf. Fast jedes Jahr kam ein neues Kind; die kleine Johanna hatte noch neun Geschwister. Weil sie brüllte wie am Spieß und nicht schlafen wollte, steckten ihre Eltern sie schließlich zum Großvater ins Zimmer. Dort war das Kind friedlich. Vom Großvater, der sie besonders liebgewonnen hatte, lernte sie später alles über die Wirkungen des Mondes. Die ganze Familie, ja, jeder auf dem Hof hörte auf den alten Mann. Gemäß den Mondphasen wurden Zäune gebaut, Warzen behandelt, der Garten umgegraben, Kartoffeln gesetzt. "Unsere Familie hätte sich überhaupt nicht erlauben können", erklärt Johanna Paungger, "den Mondrhythmus zu mißachten." Erst später, als sie in München lebte, fiel ihr auf, daß die Städter sich überhaupt nicht um den Mond kümmerten. Entgeistert beobachtete sie, daß die Leute Wäsche wuschen, "einfach irgendwann", Gemüse kauften an Tagen, an denen es rasch verdarb, bei zunehmendem Mond putzten, "was ungünstig ist". Die resolute Frau vom Lande begann ihre ahnungslosen Mitmenschen aufzuklären. Die Ratschläge, die sie einer überlasteten Nachbarin mit vier Kindern gab, führten dazu, daß diese fortan die Eigenheiten des Mondes berücksichtigte, ihren Haushalt komplett umstellte und voller Dankbarkeit die Empfehlung gab: "Schreib das doch mal alles auf." Aber Paungger hielt lieber Vorträge bei Frauenverbänden oder in Volkshochschulen. Erst als sie den Sachbuchautor Thomas Poppe kennenlernte, dachte sie ernsthaft daran, ihr Wissen in einem Buch vorzustellen. Koautor Poppe, kein Kind vom Land und in Sachen Mond völlig ahnungslos, ging neugierig und skeptisch an das Projekt heran. Er experimentierte ein halbes Jahr und war schließlich von der Bedeutung des Mondrhythmus überzeugt.

Die Skeptiker, beteuern beide, seien ihnen bis heute viel lieber als die fanatisch Gläubigen. Denn schließlich klinge ja tatsächlich vieles "blöd oder doch ein bißchen seltsam", wie Poppe freimütig einräumt. Und wissenschaftlich beweisen lasse es sich auch nicht. Seine Frau hat keinerlei Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aufzeichnungen, jahrelange Erfahrungen, findet sie, brauchen keine Rechtfertigung. Letztlich aber, sagt sie, könne nur der Mond und eigene Experimentierlust die Leser überzeugen. Mit dem Bestseller-Ruhm kamen eine Menge Schecks ins Haus - und noch mehr Anfragen. Die erhoffte Entlastung blieb aus. "Das Buch hat nichts genützt", sagt Poppe und ringt die Hände. "Jetzt wollen die Leute erst recht einen Vortrag." Landwirte, Weinbauern, Gärtner, sogar Klinikchefs reißen sich um seine Frau. Aber auch in Zukunft wird es eine Menge Absagen geben - nicht nur, weil Johanna Paungger mit Haushalt und Kindern genug um die Ohren hat. Das erfolgreiche Ehepaar baut sich nämlich gerade ein Haus in Klosterneuburg bei Wien, natürlich unter Berücksichtigung der Mondkräfte. Ganz fatal beispielsweise sei es, bei Vollmond eine Betondecke zu gießen; und wenn man beim Bau einer Holztreppe einen Krebstag erwische und zu allem Ungemach dann auch noch Vollmond wäre, dann werde diese Treppe, erklärt Paungger mit großer Entschiedenheit, "für ewige Zeiten knarren und knacksen, und zwar nicht zu knapp". Die österreichischen Bauarbeiter, zunächst entgeistert, zeigten sich lernwillig und warten nun geduldig den jeweils richtigen Zeitpunkt ab für die einzelnen Gewerke. Derweil haben die beiden Autoren schon ein neues Werk geschrieben zum Thema Renovieren, Hausbau und Holzverarbeitung. Es erklärt dem ahnungslosen Heimwerker nicht wie, sondern wann er eine Treppe bauen, eine Holzdecke einziehen oder den Boden verlegen soll. Auch dieses Buch dürfte ein Verkaufshit werden. Hilft der Mond den beiden auch dabei, Erfolg und Reichtum zu verkraften? "Da braucht's den Mond nicht", sagt Johanna Paungger heiter. "Wer mit wenig Geld auskommt, der kommt auch mit viel zurecht."

* Johanna Paungger, Thomas Poppe: "Vom richtigen Zeitpunkt". Hugendubel Verlag, München; 216 Seiten; 29,80 Mark (Angela Gatterburg)

(1997/ Nr. 1)